Last Updated on 18. Juni 2018 by Inka
Oder: Still-Förderung in Schweden.
Stillen ist es eine Kunst, die gelernt werden will – und zwar von Mutter und Kind gleichermaßen. Für einen optimalen Start noch im Krankenhaus haben die WHO und UNICEF deshalb 1991 die Baby-friendly Hospital Initiative ins Leben gerufen. Heute wird sie in 152 Ländern umgesetzt, darunter in Schweden.
Als Ernährungswissenschaftlerin weiß ich, dass so gut wie alle Frauen stillen können. Auch die Angst vor zu wenig Milch ist in den allermeisten Fällen unbegründet. Trotzdem sind viele Mütter verunsichert, ob ihr Kind genug Milch bekommt und satt wird. Früher war diese Denke für mich völlig unverständlich, heute kann ich sie etwas besser nachvollziehen. Anders als beim Fläschchen sieht man nicht, wie viel das Baby gerade getrunken hat. Auch die Dauer und Häufigkeit der einzelnen Stillmahlzeiten sind kein Anhaltspunkt, weil jüngere Babys zum Clusterfeeding neigen und ältere stattdessen kürzer, aber dafür effizienter saugen. Ob es reicht, muss man an anderen Indikatoren ablesen: daran, ob es sich innerhalb der empfohlenen Gewichts- und Längenkurven entwickelt. An der Anzahl der vollen Windeln. Oder ob seine Haut schön straff ist und es neugierig in die Welt hinaus schaut.
Stillen ist Teamarbeit
Außerdem will gut‘ Ding einfach manchmal Weile haben. Sohnemann musste auch erst begreifen, dass er meiner Brust etwas mehr Zeit geben muss, als nur ein, zwei Mal dran herumzuschlecken und dann empört zu meckern, dass nichts kommt. Ein paar kräftige Züge sind nun mal nötig, um den Milchspendereflex in Gang zu bringen. Apropos: Das Ansaugen kann echt unangenehm sein, obwohl das Baby korrekt angelegt ist und alles richtig macht. Zumindest meine Brust musste sich erstmal an den kleinen Milchvampir gewöhnen. Bis dahin hieß es einige Male Zähne zusammenbeißen, obwohl viele Stillberaterinnen das Stillen bewerben, indem sie das Gegenteil behaupten.
Doch mittlerweile läuft’s. Sogar das Stillhütchen, das anfangs nützlich, später nur noch lästig war, konnte weichen. Jedes Mal, wenn ich E. anlege, regt er über einen raffinierten hormonellen Regelkreis meine Milchbildung an. Somit ist gewährleistet, dass immer genug Milch zur Verfügung steht. Nervötende Ausnahmen sind die Wachstumstage, an denen das Stillen kein Ende zu nehmen scheint. Dann will er rund um die Uhr angelegt werden und scheint nie richtig satt zu werden. Tatsächlich ist das auch so: durch das häufigere Anlegen weiß mein Körper, das Nachschub gebraucht wird. Jetzt auf industriell gefertigte Säuglingsnahrung zurückzugreifen, wäre kontraproduktiv. Das würde den feinen Regelkreis außer Kraft setzen. Stattdessen ist Durchhalten angesagt. Auch diese Phase geht vorüber.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr nur schwer
Stillen hat also viel mit Selbstbewusstsein zu tun. Mit Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers. Mit dem Wissen, dass man es kann. Wenn es daran ohnehin schon mangelt und dann noch ein soziales Umfeld hinzukommt, das diese Zweifel mit Fragen wie „Hast Du denn auch genug Milch?“ schürt oder zum Zufüttern in den Wachstumstagen rät, ist das Scheitern vorprogrammiert.
Deshalb sind Menschen so wichtig, die Müttern genau dieses Selbstvertrauen geben. Die wichtigste Phase für eine gute Stillzeit sind die ersten Stunden bis Tage nach der Geburt. Was dort versäumt wird, muss später mit viel Mühe nachgeholt werden. Hebammen und/oder Krankenschwestern gehören daher zu den wichtigsten Wegbereitern. 1991 haben die WHO und UNICEF deshalb die internationale „Baby-friendly Hospital Initiative“ ins Leben gerufen. Sie hat zum Ziel, durch verbesserte Rahmenbedingungen in Geburtskliniken die Eltern-Kind-Bindung und das Stillen zu fördern.
Stillen ist ein weltweites Politikum
In Deutschland fasste die Initiative 1992 unter der Bezeichnung „Babyfreundliches Krankenhaus“ Fuß. Ein Jahr später wurde sie in Schweden eingeführt, wo bereits vier Jahre später alle damals 65 Kliniken nach dem 10-Punkte-Programm zertifiziert waren. Diese Vorreiterrolle war leider nicht von Dauer: Heute ist Schweden bei dieser Initiative längst nicht mehr international führend. Es war zu schnell keine Chefsache mehr. Die schwedische Regierung gab die Aufgabe an die Kommunen und landstings ab. Es war teuer, permanent neue Mitarbeiter zu schulen und die Ergebnisse zu überprüfen. 2006 wurde das Zertifizierungsprogramm zum amningsvänligt sjukhus für Krankenhäuser eingestellt.
Was nicht bedeutet, dass Schweden das Stillen nicht mehr fördert – im Gegenteil. Auch hierzulande kämpft das Nationella Amningskommittén gegen sinkende Stillquoten an und arbeitet an einer größeren Akzeptanz in der Bevölkerung. Die vier Behörden Folkhälsomyndigheten, Konsumentverket, Livsmedelsverket und Socialstyrelsen haben die von der WHO und UNICEF definierten „Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen“ adaptiert und auf diese Weise grundlegende Leitlinien für die Arbeit des Pflegepersonals in den einzelnen Kommunen geschaffen. Da in Schweden die Gesundheitspolitik aber Ländersache ist, fehlt eine übergeordnete Instanz.
Das Centrallasarett von Växjö ist zertifiziert, auch wenn die Urkunde auf der Wöchnerinnenstation im Jahr 2000 ausgestellt wurde. Trotzdem habe ich mich toll beraten gefühlt. Die Hebammen waren Tag und Nacht zur Stelle, haben geschaut, beraten, angelegt und zugeredet. Sie waren hilfsbereit und verständnisvoll. Sie haben aus mir eine vollstillende Mama gemacht. Und das macht mich richtig stolz.
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